Plädoyer für eine Städtische Sekundarschule Ahlen

26.03.13 –

Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren

Ich will zunächst einmal einen Blick zurückwerfen. Sie werden sich alle erinnern: Vor einigen Jahren gab es das Gutachten zur zukünftigen Entwicklung der Einwohnerzahl der Stadt Ahlen. Quintessenz damals: Die Einwohnerzahl wird sinken. Bei insgesamt sinkenden Geburtenzahlen wird der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund steigen.

Recht bald hatten wir, also die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diese Ergebnisse zum Anlass genommen, um bei zahlreichen Anlässen in verschiedenen Fachausschüssen eine Aktualisierung der Schulentwicklungsplanung für Ahlen zu fordern. Nachdem auch die anderen Fraktionen für sich zu ähnlichen Ergebnissen wie wir kamen, wurde die allgemein bekannte „Integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungs-planung“ beim Planungsbüro Dr. Garbe in Auftrag gegeben. Im Vorfeld hatte sich die sogenannte Lenkungsgruppe gebildet. Alle Ratsfraktionen waren bei ihrer Gründung vertreten – die Fraktion BMA gab es da noch nicht.

Die sich verändernden, sinkenden Schülerzahlen waren ein Grund dafür, dass hinsichtlich der Ahlener Schullandschaft ein akuter Handlungsbedarf bestand. Dazu kam auch die Diskussion über die Hauptschule, die auch in Ahlen geführt wurde und geführt wird – ich komme später noch einmal darauf zurück. Ein dritter Grund für einen dringenden Handlungsbedarf ergab und ergibt sich daraus, dass sich die Schülerschaft der Städtischen Realschule seit ca. drei Jahren wirklich verändert hat. Ich halte fest:

Hier wird die klassische Realschule mit ihrer hohen Klassenfrequenz (32 Schüler auf engem Raum in den 7. Klassen) den Bedürfnissen und Ansprüchen ihrer Schüler nicht mehr gerecht. Ein erster Reflex kam aus dem Kreis der Realschule. Längeres Lernen in der Schule, gemeint ist hier die Einführung des gebundenen Ganztages an drei Nachmittagen in der Woche. Seinerzeit hat der Rat der Stadt Ahlen hier einstimmig für die Einführung des Ganztages gestimmt – ich erinnere aber auch an den erbitterten Protest vieler Eltern. Inzwischen evaluiert die Realschule ihren Ganztag. Ein Ergebnis ist, dass viele Eltern eine Beruhigung im häuslichen Umfeld feststellen, da „der Stress mit den Hausaufgaben“ weniger geworden ist.

Jetzt möchte ich zu einem der Hauptergebnisse der aktuellen Schulentwicklungsplanung kommen: Kernaussage ist, dass der Bestand der Bodelschwinghschule und der Geschwister Scholl Schule langfristig nicht mehr gesichert ist. Hier musste eine Lösung gefunden werden. Innerhalb der Lenkungsgruppe wurden offen und wertfrei die möglichen Alternativen diskutiert. Es blieben zwei Schulformen über: eine zweite Gesamtschule oder aber eine Gemeinschaftsschule im Schulversuch. Uns war klar: Beide Schulen gewährleisten ein längeres gemeinsames Lernen – ich darf hier anmerken, eine Ur-Grüne Forderung. Das Büro Dr. Garbe wies schlüssig nach, dass die Errichtung einer zweiten Gesamtschule mit obligatorisch dazugehörender Oberstufe zu einer Gefährdung des Städtischen Gymnasiums geführt hätte. Das vorhandene Angebot vor Ort (eine Gesamtschule, zwei Gymnasien, zwei Berufskollegs) ist gerade auch bei langfristig sinkenden Schülerzahlen ausreichend.

Also blieb die Gemeinschaftsschule. Für Ahlen war den Mitgliedern der Lenkungsgruppe klar, auch hier hätte man eine Oberstufe anhängen können (Anmerkung: Im Vergleich zur Gesamtschule hätte die Gemeinschaftsschule mit Oberstufe kleinere Klassenfrequenzen als die Gesamtschule gehabt) – aber wir wollten ja keine weitere Oberstufe.

Die Lenkungsgruppe wollte den Schulversuch - wir wurden durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg gestoppt. Das Gericht untersagte die Errichtung einer Gemeinschaftsschule in Finnentrop, weil eine Genehmigung nicht durch die Bestimmungen zur Einrichtung eines Schulversuches abzuleiten sei. So die sinngemäße Begründung im April 2011.

Dann kam der viel gepriesene Schulfrieden für NRW. Er gewährleistet Planungssicherheit für die nächsten 12 Jahre. Die neue Schulform Sekundarschule hält dabei alle Bildungswege offen. Das wird gewährleistet durch Angebote gymnasialer Standards und durch die Kooperation mit einer gymnasialen Oberstufe – so die offizielle Vorgabe. Im Übrigen: Der Name wechselte – der Inhalt konnte beibehalten werden.

Die Lenkungsgruppe konnte sich wieder auf den Weg machen. Es gründete sich eine Arbeitsgruppe, die eine Konzeption für die zukünftige Sekundarschule für Ahlen erstellen sollte: Mitglieder waren die Schulleiter der Bodelschwinghschule, der Geschwister Scholl Schule, der Realschule und des Städtischen Gymnasiums. Weiterhin arbeiteten Kollegen und Kolleginnen der gerade genannten Sek-I Schulen mit. Die Konzeption wurde der Lenkungsgruppe vorgestellt, hinsichtlich des gemeinsamen Lernens in den Klassen 9 und 10 präzisiert und fand einhellige Zustimmung innerhalb der Lenkungsgruppe.

Bei der ersten öffentlichen Vorstellung in der Stadthalle wurden von anwesenden Eltern zahlreiche Fragen zur Sekundarschule gestellt. Da die Schule noch nicht arbeitet, konnten etliche Fragen noch nicht sicher beantwortet werden. Das war vor 20 Jahren bei der Errichtung der Gesamtschule ähnlich – das liegt einem Neuanfang immer inne.

Zwei wichtige Fragen habe ich öffentlich bisher noch nicht gehört. Ich gehe aber davon aus, dass diese Fragen für große Teile der Elternschaft eine hohe Bedeutung haben:

Die eine Frage lautet: „Sinkt das Leistungsniveau in einer Klasse, in der ein großes Leistungsgefälle herrscht?“

Die zweite Frage lautet: „Leiden die schwächeren Kinder oder wird auf sie vielleicht zu wenig Rücksicht genommen?“

Zur ersten Frage gebe ich eine persönliche erste Antwort: Wir pflegen in Deutschland die Chimäre der leistungshomogenen Gruppen.

Es gibt empirische Untersuchungen, die eine Leistungsminderung in heterogenen Klassen eindeutig widerlegen. Auch die Grundschulen zeigen, dass in leistungsheterogenen Klassen gelernt wird. Bei internationalen Bildungsvergleichen schneiden unsere deutschen Grundschulen stets besser ab als unsere weiterführenden Schulen insgesamt. In der Konsequenz bedeutet dies doch: Gutes Lernen ist in heterogenen Gruppen möglich und wird in den Grundschulen an jedem Tag neu unter Beweis gestellt.

Für die weiterführenden Schulen treten vielmehr unerwünschte Effekte ein:

Fast 40 % der 15 jährigen Jugendlichen werden mindestens einmal innerhalb ihres Schülerseins vom Lernen in der Gruppe ausgeschlossen:

– durch Zurückstellung am Schulanfang,

– durch Überweisung zur Förderschule,

– durch Sitzenbleiben,

– durch Abschulung auf niedrigere Schulformen (Abschulung)

Diese Schüler werden beschämt!

In ihrem Gutachten für die Landesregierung in NRW zum Thema „NRW Inklusionskonzept 2011“ gehen Prof. Klemm und Prof. Preuss-Lausitz genau auch dieser Frage nach und stellen fest, dass es nicht nur Ziel ist, dass leistungsschwächere Schüler in einem integrativen Lernsetting zu besseren Schulerfolgen kommen. Alle Schülerinnen und Schüler werden in ihrer Lern- und Sozialisationsentwicklung gestärkt und gefördert – auch der Hochbegabte.

Zur zweiten Frage äußern sich die beiden Gutachter ebenfalls.  Sie verweisen darauf, dass man immer wieder die Stärken einzelner Kinder in den Vordergrund stellen soll (Sport, Spiel). Hier können auch leistungsstärkere Kinder zu vermehrter Selbstreflexion angeleitet werden.

Und genau das wird auch in der durch die Konzeptgruppe erstellte Konzeption der Sekundarschule klar. Inklusive Strukturen werden deutlich, wenn es im Konzept sinngemäß heißt, dass kognitive, musische, sportliche oder auch soziale Leistungen gleichrangig gesehen werden, oder wenn es heißt, dass das Ziel der Teilhabe aller als Chance für Ahlen gesehen wird. Die Sekundarschule will eine Schule der Vielfalt sein. Aus der Heterogenität soll im gemeinsamen Lernen die Stärke der Schule erwachsen. Hier verweise ich auf die Publikationen von Frau Prof. Olga Graumann, die Heterogenität als Qualitätskennzeichen einer Schule sieht – bei entsprechend vorliegendem pädagogischen Programm.

Zugrunde lege ich hier den erweiterten Inklusionsbegriff von Prof. Werning. Er hat in einem Gutachten für die Landesregierung untersucht, welchen Beitrag die KsFs zur Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems leisten. Werning führt aus: „Inklusion ist ein Konzept zur Überwindung von Diskriminierungen aller Risikogruppen und der Exklusion im schulischen Kontext. Er nennt hier Ausgrenzungen bzw. Benachteiligungen z. B. aufgrund des Geschlechtes, der sozialen Herkunft, der Lebensbedingungen bzw. des kulturellen Hintergrundes.

Und an dieser Stelle muss ich einfach auf den Geschäftsführer eines Wohlfahrtsverbandes antworten, der am letzten Montag in der gemeinsamen Sitzung des Schulausschusses und des Kinder- und Jugendhilfeausschusses monierte, warum nicht eine Inklusive Schule gewollt worden wäre.

Lieber Herr Geschäftsführer: Inklusion ist nicht die Aufgabe einer Schule. Inklusion ist auch keine Pficht. Inklusion meint einen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe. Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, dass die neue Schule hier inklusive Strukturen schafft. Es bleibt festzuhalten: Inklusion ist eine Querschnittsaufgabe, auch für das kommunale Gemeinwesen, also die gesamte Stadt, (den Kreis, das Land).

Dabei wollen alle mitgenommen werden, auch die Lehrer der Realschule, die in den letzten Jahren so einiges an Veränderungen erlebten und zum Teil auch lernten, diese Veränderungen mitzutragen.

 

Der Elternfragebogen

Im Rahmen der Elternbeteiligung mussten die Eltern der 3. und

4. Klassen befragt werden. Bei der Vorstellung wies Herr Wessels darauf hin, dass bei der Auswahl einer Sekundarschule auch eine kooperative Sekundarschule abgefragt werden musste, obwohl ein solches Angebot (Verbundschule) für Ahlen gar nicht vorgesehen war.

Die Antworten zu dieser Frage lassen sich mehrfach deuten. Ich gebe der Fraktion BMA recht: Man kann das so sehen, dass die Eltern, die sich eine Anmeldung an der Sekundarschule eventuell vorstellen können, nicht sagen, „Wir wollen unser Kind an der Sekundarschule“ anmelden.

Ich selber argumentiere: Wer vielleicht sagt, sagt grundsätzlich nicht NEIN.

Ich will aber auf ein anderes Ergebnis der Elternbefragung eingehen und dieses Ergebnis ist absolut belastbar: Neun Eltern aus den 3. und 4. Klassen wollen ihr Kind an einer Hauptschule anmelden. Und wir haben noch drei Hauptschulen. Ich prognostiziere hier der demnächst verbleibenden Hauptschule: Das kann noch ganz eng werden.

Im Übrigen: Das Elternvotum zeigt, dass die Hauptschule als Schulform nicht mehr gewollt ist. Das bedeutet nicht, dass die qualifizierte Arbeit der Hauptschullehrer nicht mehr gewollt wird. Das zeigt sich immer dann, wenn von guten Kontakten zwischen Hauptschule und Elternhäusern berichtet wird, die zum Teil in wirklich prekären Lebenssituationen stecken.

Jetzt frage ich direkt die BMA: Ja wenn die Hauptschule nicht mehr gewollt wird, auf welche Schule sollen wir unsere Ahlener Schüler schicken? Auf die Städtische Realschule? Die Lösung kann nur lauten: Eine neue Sekundarschule für Ahlen, die Gemeinwesen orientiert ausgerichtet ist für alle Ahlener Schüler. Kein Ahlener Schüler wird aufgrund eines wie auch immer gearteten Auswahlverfahrens abgelehnt und damit beschämt. Es kann nur die Sekundarschule in Kooperation mit einer gymnasialen Oberstufe sein. Hier hat sich das Städtische Gymnasium zur Kooperation bereiterklärt. Herr Knepper ist und bleibt Mitglied der Konzeptgruppe. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich auch das Berufskolleg Pattenmeicheln nachdrücklich als Kooperationspartner ins Gespräch gebracht hat. Ich begrüße dies ausdrücklich und merke an, dass viele Eltern nicht wissen, welch vielfältige Möglichkeiten die Berufskollegs bieten, einen höher quailifizierenden Schulabschluss zu erwerben.

Den Erstellern der Konzeption, den Schulleitern und den Kollegen und Kolleginnen, die sich den Anforderungen der konzeptionellen Arbeit gestellt haben, gilt mein wirklich ernst gemeinter Dank. Die Mitarbeit erfolgte zusätzlich zur jeweilgen Unterrichts- und sonstigen Dienstverpflichtung, es gab keine Entlastung.

Danken möchte ich auch der Verwaltung, die die Treffen der Lenkungsgruppe stets optimal vorbereitete. Namentlich erwähnen möchte ich hier Herrn Christoph Wessels. Ihm wünsche ich an dieser Stelle eine baldige und vollständige Genesung.

 

Ein paar abschließende Sätze zu den Fraktionen Die Linke bzw. BMA:

Die Fraktion BMA hat erst spät einen Vertreter in die Lenkungsgruppe entsandt. Vielleicht hat sie sich zu lange in ihrer Mitte, also im Innenkreis zu wohl gefühlt und nicht bemerkt, dass sich die Welt im Außenkreis, sprich im Gemeinwesen Stadt Ahlen veändert hat. Bemerkenswert ist hier ein Statement des Vertreters der BMA innerhalb der Lenkungsgruppe, das ich hier zitieren möchte: „Mich überzeugt die Konzeption der Sekundarschule – aber ich weiß nicht, ob ich meine Fraktion davon überzeugen kann.“

Ich bitte die Fraktion BMA: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass sich die Realschule in den letzten drei Jahren verändert hat. Unterlassen Sie den Versuch, eine Schulpflegschaft für ihre politischen Zwecke einzuspannen. Und bitte beantworten Sie für sich die Frage: „Wenn nur neun Eltern ihr Kind an einer Hauptschule anmelden wollen, wohin sollen die anderen Kinder gehen, ohne zugrunde zu gehen?

Der Fraktion Die Linke kann ich nur sagen: Lesen Sie das Schulentwicklungsgutachten sehr genau. Inhaltlich war es in der letzten Zeit spannend zu sehen, wie Herr Jenkel die verbale Rolle rückwärts übte. So war er innerhalb der Lenkungsgruppe gelegentlich euphorisch und konnte die Konzeption voll mitragen. Erst führte er aus, er sei dafür, sein Fraktionskollege wolle sich enthalten, dann wollte er sich enthalten, sein Fraktionskollege wollte dagegen stimmen. Nun wollen beide gegen die Sekundarschule stimmen. Ich frage die Fraktion Die Linke: Wenn Die Linke ihre favorisierte Schulform nicht durchsetzen kann, inhaltlich die Sekundarschule aber auch nicht ablehnt, wie kann sie dann gegen die aus ihrer Sicht zweitbeste Lösung sein?

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt die Errichtung einer Sekundarschule für Ahlen und wird diese nachhaltig unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Norbert Ostermann Bündnis90/Die Grünen

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